Matthias Nawrat / Der Henker jedes Jahrhunderts

Der Henker jedes Jahrhunderts

Der Henker jedes Jahrhunderts glaubt,
die Dinge geschähen und wären dann vorbei.
Nein, im Weltall geschehen sie noch immer.
Da liegen nebeneinander
wie in zwei Zimmern
die Hinrichtung Galileis und die Folter
der Lucia, ihr graben in halber von Caravaggio gemalter Dunkelheit
am Altar in Ortygia
noch heute zwei Schergen ein Grab.
Die Gaskammern stehen bis in Ewigkeit
neben der Kettenkolonne von Teotihuacán,
die Keller in Butscha
werden einsehbar bleiben
durch einen Kellerfensterspalt.
Tizian hat die Schindung des Marsyas
vom Verfall befreit,
Apollon häutet ihn noch immer.
Die gesamte Geschichte
findet in einem Winkel des Alls noch statt.
Du wirst auch heute noch
gerade erst geboren.
Deine Eltern begegnen sich auch heute wieder
das erste Mal.
Oder warum sonst schießen die Farbtupfer gegen den Gemälderand,
warum bäumt sich
die Welle aus Farbe am Strand
noch immer auf, getrocknet, aber nicht erstarrt?
Es macht für immer einen Unterschied,
ob du etwas getan
oder es unterlassen hast.
Es stimmt daher auch heute nicht,
dass alles umsonst ist.

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