Hans-Jost Frey / Schreiber und Leser

Dein Schreiben und mein Lesen sind Tätigkeiten, die uns nicht zu uns, sondern von uns weg an einen Ort bringen, wo wir nicht gebraucht werden und den wir gerade deshalb brauchen können. – Heute vor einem Jahr, am 12. Februar 2023, ist Hans-Jost Frey gestorben. Sein Buch Lesen und Schreiben, hervorgegangen aus Freys Abschiedsvorlesung als Professor für Vergleichende und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, war unter den ersten Büchern, die die Gründung des Engeler Verlags möglich und notwendig gemacht hatten. Das „seltsame Gespräch“ Schreiber und Leser (hier als PDF) war von Frey für dieses Buch als Prolog geschrieben worden; ich hatte es aber nicht in das Buch aufnehmen wollen, ich weiß nicht mehr mit welchen Argumenten, aber es hatte, fürchte ich, etwas zu tun mit der „ungebundenen Bewegungsart“ und dem „Wechsel der Blickrichtung“, der mir damals nicht passend erschien. Ich musste noch lernen, auch als Verleger offen zu werden „für ein Schreiben mit ungewissem Ziel, das ungebetene Begegnungen unterwegs nicht meidet und sich manchmal durch Unerwartetes in eine andere Richtung weisen lässt, als vorauszusehen war, für ein Schreiben also, das sein zu Schreibendes erst als stattfindendes findet und dauernd mit dem Abenteuer rechnet, von sich selbst überrascht zu werden.“

Leser Ich frage mich manchmal, wie wir zueinander stehen. Wir begegnen uns ja immer wieder einmal in dem, was du schreibst und was ich lese, du als Gebender, ich als Nehmender.

Schreiber So scheint es. Und doch fühle ich mich oft alleingelassen. Nicht weil du nicht liest, was ich geschrieben habe, aber weil du es so anders liest, als es gemeint war. Fast gehst du eher an mir vorbei, als dass wir uns begegnen.

Leser Ich gebe mir aber immer Mühe zu verstehen, was dasteht, und ich glaube, dass ich es dabei nicht an Sorgfalt fehlen lasse. Bei vielen Stellen könnte ich dir zeigen, wie ich zu meiner Art komme, sie zu lesen, und du müsstest zugeben, dass dein Text wirklich sagt, was ich darin finde.

Schreiber Das bestreite ich nicht, denn ich kenne dich als einen guten Leser, und mit einem andern ein Gespräch zu führen, hätte für mich keinen Sinn. Aber gerade wenn es so ist, wie du sagst, ist es doch fraglich, ob wir uns im Text begegnen. Und darüber hinaus ist es fraglich, ob das, worin wir uns eher verpassen als begegnen, mein Text ist, denn wenn du ihn, ohne dich zu irren, anders verstehst, als ich ihn meine, so habe ich offenbar nicht nur geschrieben, was ich schreiben wollte, sondern auch anderes, und ich weiss nicht, ob ich das, wovon ich nichts weiss, als meines betrachten soll.

Leser Aber wie können wir zusammenkommen, wenn nicht indem ich lese, was du schreibst? Dein Text ist doch, was zwischen uns vermittelt, und du bedienst dich der Sprache, um mir mitzuteilen, was du zu sagen hast.

Schreiber Das gelingt aber offenbar nicht so ohne weiteres, was uns dazu veranlassen könnte zu überlegen, was die Bedingungen sind, unter denen ein so prekärer Vorgang wie Verständigung überhaupt stattfinden kann. Stünden wir uns einfach gegenüber, und könnte ich dir meine Gedanken in eine Schachtel verpackt überreichen, so wäre kein Platz für Schwierigkeiten und Missverständnisse, und schon gar nicht liesse sich erklären, dass du aus der Schachtel etwas anderes auspackst, als ich hineingelegt habe.

Leser Es könnte ja sein, dass du nicht aufgepasst und versehentlich etwas mit eingepackt hast, was du mir gar nicht zukommen lassen wolltest.

Schreiber Nein. Das würde heissen, dass ich unachtsam und daher schlecht schreibe. Aber wenn wir weiterkommen wollen, musst du mein Schreiben ebenso ernst nehmen wie ich dein Lesen. Dann hat aber die Schwierigkeit der Vermittlung andere Gründe. Du sagtest vorher, ich bediene mich der Sprache, um dir mitzuteilen, was ich dir sagen möchte. Das ist ohne Zweifel, was wir ständig tun, wenn wir reden oder schreiben; aber damit wir es tun können, muss es die Sprache schon geben und müssen wir sie schon haben. Alles hängt nun davon ab, auf welche Weise wir Sprache haben. Um der Sache näherzukommen, müssen wir vom Bild der Schachtel wegkommen. Die Sprache ist nicht etwas, das herumliegt und das man aufgreift, um Sinn hineinzupacken. Man sagt zwar, dass jemand das Wort ergreift oder dass er sein Wort gibt, aber das erste bedeutet nicht, dass man vorher keine Sprache hat, ebensowenig wie das zweite bedeutet, dass man von jetzt an auf sie verzichtet. Sprache hat man nicht wie etwas, das man aufhebt und wieder weglegt, sondern so, dass man sich immer schon in ihr bewegt und sie nur deshalb auch benützen kann. Ich schreibe nicht nur mit der Sprache, sondern in der Sprache, und nur in ihr kann ich mit ihr schreiben. 

Leser Könnte man das auch so sagen, dass die Sprache nicht nur das Instrument der Vermittlung ist, sondern das Medium, in dem diese stattfindet? 

Schreiber Gewiss. Und wird nicht gerade, wenn man es so sagt, deutlich, dass wir ungenau denken, wenn wir annehmen, dass wir uns im Text begegnen? Was ich schreibe ist allerdings nötig, damit wir überhaupt in die nicht einfache Beziehung zueinander kommen, über die wir jetzt nachdenken. Aber wir begegnen uns nicht in meinem Text, sondern durch ihn in der Sprache. Sie ist uns gemeinsam, in ihr bewegen wir uns beide. Deshalb sind wir uns eigentlich immer schon begegnet, bevor ich schreibe und du liest, ja, jeder von uns ist auch der andere, denn um zu schreiben, muss ich immer schon die Sprache, die ich benütze, von innen kennen und in mich aufgenommen haben, und du kannst nur aufnehmen, was ich schreibe, weil du selber schon Sprache benützt hast. Wir schreiben und lesen aus der Sprache heraus, in der wir immer schon sind.

Leser So wie du die Sprache beschreibst, gleicht sie der Luft, die wir nur zum Atmen brauchen können, weil wir immer schon in ihr sind. Dabei instrumentalisieren wir das Medium. Wenn nun die Sprache, in der wir sind, auch die ist, die wir verwenden, so lassen sich Medium und Instrument nicht scharf trennen, denn es ist ja die eine Sprache, die beides ist. Man kann sich in der Sprache nur bewegen, indem man sie braucht. Sie erscheint nur in Reden und Texten. Deshalb möchte ich daran festhalten, dass wir uns im Text begegnen, jetzt aber im Text, insofern als in ihm das uns verbindende Mediale der Sprache durch das Besondere deiner Sprachverwendung hindurchschimmert. Wir kommen in deinem Text zusammen, weil er uns die Sprache – wie sie uns ihn – zugänglich macht, die sowohl deinem Schreiben wie meinem Lesen vorgeordnet ist. Beide bringen wir eine Erfahrung von Sprache mit, in der und durch die wir uns verständigen.

Schreiber Nur dürfen wir dabei nicht vergessen, dass die Sprache zwar die Bedingung der Verständigung, nicht aber die Garantie ihres Gelingens ist. Ich glaube, das hat mit dem zu tun, was du die Instrumentalisierung des Mediums genannt hast. Wenn ich schreibe, bewege ich mich auf eine bestimmte mir eigene Art in der Sprache, wähle unter allem, was sie an Möglichkeiten bereithält, die einen aus und vermeide andere. So entsteht ein Text, den ich als den meinen betrachten darf, weil er durch eine Reihe von Entscheidungen zustande gekommen ist, die ich verantworten kann. Und doch weiss ich, dass ich einer Illusion verfalle, wenn ich mir „meinen“ Text auf solche Weise aneigne. Dass mir der Text trotz allem, was er durch mich ist, nicht gehört, hat mit der Sprache als Medium und ­damit zu tun, dass ich sie, wenn ich sie brauche, nicht aus einem Medium in ein Werkzeug verwandle. Vielmehr ist ja die Sprache selbst der Ort ihres Gebrauchs und hört deshalb als instrumentalisierte nicht auf, Medium zu sein. Meine Entscheide scheiden nicht einfach alles aus, wofür ich nicht entschieden habe. Nicht nur bleibt, was ich mit Absicht ausschliesse, im Text als etwas gegenwärtig, von dem er sich abhebt, und was ihm erst erlaubt, sich zu seiner Eigenheit als der meine auszubilden, sondern es kann geschehen, dass Möglichkeiten der Sprache, an die ich gar nicht gedacht habe, in ihn eingehen und mich Dinge sagen lassen, von denen ich nichts weiss. Dass ich in der Sprache schreibe, heisst auch, dass ich ihr bis zu einem gewissen Grad ausgeliefert bin, dass sie, ob ich das nun will oder nicht, an dem, was ich schreibe, mitschreibt … Aber ich komme ins Dozieren, das heisst ich rede so, dass ich bei meinem eigenen Reden gerade das vergesse, was ich redend in Erinnerung rufen möchte …

Leser Du wolltest mich darauf aufmerksam machen, dass Sprache als Medium Verständigung zwar möglich macht, aber nicht sicherstellt. Ich verstehe jetzt besser, wie es kommt, dass ich in dem, was du schreibst, Dinge finden kann, die zu sagen nicht immer in deiner Absicht lag, die du aber dennoch geschrieben hast, weil du schreibend nicht über der Sprache stehst, sondern in ihr und mit ihr vorangehst, was mit sich bringt, dass sie dich ebenso benützt wie du sie. Aus dem, was du gesagt hast, könnte ich eine Rechtfertigung meiner eigenen Tätigkeit …

Schreiber Mir gegenüber brauchst du keine!

Leser  … ableiten. Da meine Erfahrung von Sprache sich nicht mit deiner deckt, da ich mich anders im Medium bewege und andere Vorlieben, Abneigungen und Kenntnisse habe, die ich in meine Lektüre mitbringe, werde ich eher auf das in deinem Text aufmerksam, was dir entgeht, weil du schreibend auf das ausgerichtet bist, was du willst, und wenig Freiheit für das hast, was sonst noch geschieht. Das ist mir aber nicht deshalb wichtig, weil es zeigt, dass wir uns irgendwie zu ergänzen scheinen und dass ich nicht nur ein passiver Empfänger bin, sondern selber etwas dazu beitragen kann, dass dein Text wird, was er ist. Wichtig ist mir meine Leserrolle jetzt durch das, was sie mit der Verständigung zu tun hat. Wenn es stimmt, dass das, was du schreibst, sich von dir löst und selbständig wird, dann verstehe ich nicht mehr oder nicht mehr nur dich, wenn ich lese, sondern dein Geschriebenes. Es geht gar nicht mehr in erster Linie um eine Verständigung zwischen uns. Lesend suche ich nicht dich, sondern was auf dem Papier steht. Nicht alles, was der Text mir zu verstehen gibt, hast du ihm mitgegeben. Nicht du sprichst, der Text spricht.

Schreiber Du verlässt mich, weil mein Text mich verlässt. Ich bleibe allein, und doch schreibe ich für dich. Aber gerade dass das, was ich schreibe, dir mehr anbietet, als was ich wollen oder auch nur überblicken kann, ist das Gelingen der Vermittlung zwischen uns. Nicht zwischen uns als Personen mit Namen, sondern zwischen mir als Schreibendem und dir als Lesendem. Immer noch ist es der Text, der zwischen uns ist und vermittelt. Aber er ist und tut es jetzt anders, als wie wir es allzu selbstverständlich annahmen, als wir von Verständigung sprachen. Ich schreibe und du liest. Das sind beides Handlungen, die wir nicht uneingeschränkt in der Hand haben. Der Text, auf den wir uns beide dabei ausrichten, holt uns in sich hinein. Indem ich ihn schreibe, verliere ich mich bis zu einem gewissen Grad an ihn und in ihm. Was ich schreibe, legt mir nahe, was ich schreiben soll. Manchmal finde ich Worte, für was ich sagen will, aber diese Worte rufen oft andere, die sich von selbst einfinden und sich denken lassen wollen. Oder sie stellen sich unauffällig ein und entstellen doch, was ich sie darstellen lasse. Mein Text entsteht entstellt. Er entstellt mich, verrückt mich von meiner Stelle, saugt mich in sein labyrinthisches Gefüge, als das er sich dir vorstellt. Und ich stelle mir vor, dass es dir vielleicht beim Lesen ähnlich geht wie mir beim Schreiben. 

Leser Nur ist in meinem Fall das Entrücktwerden weniger unerwartet, denn um Geschriebenes aufzunehmen, muss ich mich ja zunächst einmal von ihm aufnehmen lassen. Je unvoreingenommener ich mich dem Text überlasse, umso empfänglicher bin ich für alles, was in ihm geschieht, unabhängig davon, ob es mir passt oder nicht. Wenn ich lese, will ich nicht jemand sein, der sich stellungnehmend behauptet.

Schreiber Vielleicht sehen wir jetzt besser, auf welche Weise der Text zwischen uns ist. Wir gehen beide, du lesend, ich schreibend, in ihn ein, aber nur als der, der schreibt, und als der, der liest, und nicht als was wir sonst noch sind. Was ich schreibe, teilt mich dir mit, aber nur als den, der schreibt, und nicht als jemanden mit seinen Komplexen und Einfachheiten. Dieser kann sich nicht über den Text mit dir verständigen, und wenn er es zu können glaubt, täuscht er sich über das, was geschieht, wenn er schreibt. Die Begegnung zwischen uns ist unpersönlich.

Leser Deshalb brauchen wir auch keine Rücksicht aufeinander zu nehmen. Was du schreibst, ist in dem Masse, als es sich dir entzieht, nicht für mich geschrieben und an mich gerichtet, und was ich mit dem Text anfange, muss nur ihm, nicht dir gerecht werden. So könnte ich jetzt beinahe sagen, der Text sei so zwischen uns, dass er gar nicht auf uns angewiesen ist. Der Text braucht uns nicht. Er braucht uns nicht, weil er nicht für den Gebrauch, auch nicht den der Verständigung, bestimmt ist. Dein Schreiben und mein Lesen sind Tätigkeiten, die uns nicht zu uns, sondern von uns weg an einen Ort bringen, wo wir nicht gebraucht werden und den wir gerade deshalb brauchen können.

Das war ein seltsames Gespräch. Zunächst weil hier zwei miteinander reden, die, wenn sie sind, was sie zu sein vorgeben, nur schriftlich verkehren können, und die das Lesen und das Schreiben, über die als ihre Tätigkeiten sie sich unterhalten, gerade nicht ausüben, indem sie darüber reden. Täten sie nicht besser daran, ihrer Beschäftigung nachzugehen, anstatt zu Schwätzern zu werden?
Aber es ist da noch eine andere Merkwürdigkeit, über die ich nicht hinwegsehen kann. Es ist nämlich, sieht man genauer hin, noch jemand an diesem Gespräch beteiligt, von dessen Anwesenheit man vorerst nichts bemerkt. Er kommt nicht zu Wort, weil er es gar nie abgibt. Das Gespräch ist ein geschriebenes und nicht ein gesprochenes. Der, der es schreibt, ist den beiden Stimmen, die das Gespräch führen, oder von ihm geführt werden, übergeordnet, denn er schreibt beide. Aber was heisst hier schreiben? Geht es vielleicht für den Schreiber – nicht den im Gespräch, sondern den des Gesprächs – nur darum, ein Gespräch, das tatsächlich stattgefunden und dem er zugehört hat, aufzuschreiben? Wenigstens tut er so, als ob es so wäre. Man nennt das Fingieren. Ob das Gespräch ein wirkliches oder ein fingiertes ist, lässt sich streng genommen nicht entscheiden. Aber da es jetzt so oder so nur noch als geschriebenes oder gelesenes stattfinden kann, kommt es nicht so sehr darauf an. Und deshalb will ich auch gleich zugeben, dass ich – ich ist der, der jeweils schreibt – das Gespräch erfunden habe. Neben, unter, über, in den beiden Stimmen, die ich sagen, gibt es ein drittes Ich, das leicht zu übersehen ist, weil es nie ich sagt, sondern sich auf die beiden Stimmen aufteilt, die es an seiner Stelle ich sagen lässt. Dieses Ich bin ich. Ich habe diesen Dialog geschrieben. Er ist mein Text.
Ist es mein Text? Ich habe ihn geschrieben, aber wenn ich ihn lese, kann ich ihn nicht mehr als meinen beanspruchen, ohne in Widerspruch zu dem zu geraten, was drinsteht. Es wird deshalb nichts schaden, wenn ich mich frage, in was für einer Beziehung ich zu dem irgendwie meinigen Geschriebenen stehe. Gerade darüber haben aber der Schreiber und der Leser in ihrem Gespräch nachgedacht, und da ich das Gespräch geschrieben habe, muss ihr Nachdenken wohl irgendwie von mir beeinflusst sein, so dass ich jetzt nur mehr oder weniger wiederholen könnte, was die beiden gesagt haben. Es gibt aber etwas, das ihnen entgangen ist: dass sie nämlich ein Gespräch führen. Das geschieht für sie so natürlich, dass sie es einfach hinnehmen, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Aber dass das Gespräch stattfindet, ist weder natürlich noch zufällig. Ich habe es so eingerichtet. Allerdings begann ich zu schreiben, ohne mir die Gründe klar gemacht zu haben, die mich dazu bewogen, gerade einen Dialog zu schreiben. Aber das kann auch jetzt noch geschehen und gibt mir die Gelegenheit, mit meinem Gespräch als solchem ins Gespräch zu kommen. Es ist wohl gerade die Möglichkeit, auf etwas Vorgebrachtes antwortend zu reagieren, die mir die Gesprächsform von Anfang an nahegelegt hat. Der Dialog erlaubt und verlangt sogar die Unterbrechung, die von der argumentativen Strenge befreit und immer wieder die Öffnung auf Aus­blicke ermöglicht, denen man sich gern verschliesst, wenn man das Bedürfnis nach einem zwingenden Gedankengang zum Zwang werden lässt. Die Dialogform begünstigt eine ungebundenere Bewegungsart und auch den Wechsel der Blickrichtung. Sie eignet sich für ein Schreiben mit ungewissem Ziel, das ungebetene Begegnungen unterwegs nicht meidet und sich manchmal durch Unerwartetes in eine andere Richtung weisen lässt, als vorauszusehen war, für ein Schreiben also, das sein zu Schreibendes erst als stattfindendes findet und dauernd mit dem Abenteuer rechnet, von sich selbst überrascht zu werden.
Ich wüsste nicht zu sagen, wie es kam, dass mein fiktives Gespräch an einen Punkt gelangt ist, an dem sich die Verselbständigung des Textes gegenüber dem Autor und dem Leser als Ergebnis meldet. Das ist kein neuer Gedanke, und ich hätte ihn bei Mallarmé finden können, anstatt auf meinen eigenen Umwegen darauf zu stossen: „Impersonnifié, le volume, autant qu’on s’en sépare comme auteur, ne réclame approche de lecteur. Tel, sache, entre les accessoires humains, il a lieu tout seul: fait, étant.“ Ein Zitat hat keine Autorität. Es beweist nicht, dass ein Gedanke richtig ist, sondern nur, das früher schon jemand einen vergleichbaren gehabt hat. Was diesen besonderen Gedanken angeht, so wirft er, was immer man gegen ihn vorbringen mag, die Frage nach der Beziehung zwischen Schreiber, Text und Leser in einer Weise auf, die deren Angleichung an ein allzu selbstverständlich vorausgesetztes Kommunikations­schema einigem Widerstand aussetzt. Der dichterische Text ist nicht dazu da, dass sich der Dichter und der Leser verständigen. Wer in dem Sinn schreibt und liest, in dem ich diese Tätigkeiten hier umkreise und und umschreibe, erfährt die Sprache als Medium. Er gelangt nicht durch sie hindurch und aus ihr hinaus zu einem, der sie benützt, um etwas zu sagen, sondern immer mehr und tiefer in sie hinein. Schreiben und Lesen entführen in die Sprache.

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