Elke Erb / 18.4.12 // Christian Filips / Dieses Notat von Elke fand ich eines Morgens

„Die Zäsur übernachtend (transitiv) / und schalenlos (Wind-Ei)“- Ein bislang unveröffentlichter poetologischer Rat von Elke Erb… (Hier Elke Erbs und Christian Filips Text als PDF.)

Die Zäsur übernachtend (transitiv)
und schalenlos (Wind-Ei)

A     (zu dir hin)

nein, da stellst du dich außen auf. 
da möchte ich dich nicht stehen sehen.
interessiere dich.

B     (von mir her)

Es wird gedroschen. Oben in der Luft. Es ist in einem Bau.
Große Siebe. Rahmensiebe. Siebe in Rahmen
sind gefaßt. Sind geschüttelt. Gelbgrau. 
Nichts fällt. Sieben in sich.

Über mir. Stehe. Körper? Die Vorstellung Engel –
ist an sich falsch. 1 Frauenfigur, flüchtig nur. 
Nicht konkret. Im Halbdunkel halbda.

Du bist nicht konkret,
niemals. Heißt der (Über-mir-)Bau.

(sehe immerhin.
–    –    –    –    –    –    –
(nicht mit himmelslicht…))

A     zu Dir hin:

Könntest Du nicht alles, was Du für andere tust,
auf Dich beziehen? Also willkürlich die Distanz
(die Lieferung) beenden?

Es war so: Im nachhinein (wie  seit vorigem Herbst auffällig ich erst im Nachhinein sich mir etwas öffnet) sah ich A, heute nacht.
Sofort danach kam B, das Bild dieser Situation da. Als ich damit fertig war, es zu notieren, stellte sich das zweite A ein.
Zuletzt der Titel.  
Am Morgen auf dem Rad wollte ich prüfen, wie es geht, was ich Dir rate. Da wurde sofort klar: Was  man tut, tut man ebensowenig hingewendet zu andern wie zu sich selbst, man tut es sachlich, höchstens sind die andern Teil der Sache. Du müßtest also die pure Hinwendung zur Sache umdrehn zu Dir selbst. Immer wieder, sobald es Dir einfällt. Das könnte zu etwas führen.

Ich tu das mal auch.

***

Dieses Notat von Elke fand ich eines Morgens vor, beim ersten Gang ins Bad, an meine Zimmertür geklebt, in der Weddinger Schwedenstraße. Wie der Zettel noch weiß, muss es der Morgen des 18. April 2012 gewesen sein. Der Notiz ist ein Gespräch am Küchentisch vorausgegangen, ein vielstündiges, geräumiges Reden (mit Schafgarbentee & gekochten Eiern), das den Tag ins Land gehen ließ, bis in die Nacht. In der Nacht hat Elke, die oft schlaflos war, schreibend auf unser Gespräch reagiert und die Abschrift zum Gespräch mir an die Tür geklebt, mit Malerkrepp. 

Ich weiß noch, dass ich Rat bei ihr gesucht hatte. Darauf reagiert Text A (zu dir hin). Meine Klage ging in etwa: Ich bin überfordert, erfülle nur Aufträge, gehe Befehlen nach, liefere ab, muss gehorchen, komme nicht zum eigenständigen Denken, fühle mich fremdbestimmt, lebe die Leben anderer, liebe die Liebe anderer. Das sei ja aber wohl nicht (nur) meine Schuld, sondern eben kapitalistischer Systemzusammenhang usw.

Elke hat in die Klage nicht eingestimmt, sie fand den binären Denkansatz falsch. An die Details erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur, dass das Gespräch mitten in der Nacht kein Ende nahm, sondern dass wir irgendwann aus Erschöpfung eine Zäsur machten. „Die Zäsur übernachtend“, die Gesprächspause über Nacht, während der Elke schreibend weiter redet, aber eben im Transitiv, im Übergang also zwischen Subjekt und Objekt, z.B. ihr und mir, in zweistelliger Relation. Darin liegt, sehr verknappt, der erste Rat: Die Logik „Ich gegen die Anderen“ in den Transitiv setzen. Der zweite Vers ist dazu das Bild: das Ich als Ei, wie das Ei, das wir aßen, aber ohne Schale (Schutz). Und aus Wind gemacht. 

Der Abschnitt A ist ein Ratschlag, ein Imperativ, der mir gilt. So imperativisch, dass das transitive (poetische) Sprechen ins Wanken gerät. Ich hatte immer Angst vor Elkes Zetteln. 

B. ist Situation. In B. spricht E. Da höre ich ihren Gedicht-Ton. Sehe Eifelkindheit, eine ländliche Szene in ihrem Sommeraufenthalt Wuischke bei der Heuernte. Aus der Zwei wird ein Vorgang. Der Vorgang des Siebens entspricht aber auch dem Durchsieben der Worte in unserem Gespräch. Was bleibt hängen im Sieb von der Rede, einige Stunden später, in der Nacht? Ich habe damals an dem Gedichtband „Scheiße-Engel“ geschrieben. Es kann sein, dass sie daher die Vorstellung Engel anspricht. Zugleich steht die Vorstellung des Engels, die hier als falsch gilt, aber als Möglichkeit durchaus auch im Raum. Nämlich als der Körper, der über dem Ich steht. „Du bist nicht konkret“ habe ich damals als Vorwurf an mich verstanden. Aber jetzt sehe ich, dass das Du von B ja nicht das Du von A ist. Es geht um die Frage hier, wie der Überbau (Engel) das Sehen formt. Und ein Ausweg deutet sich darin an, dass Hinsehen auf das Problem ja schon bereits eine Einsicht ist. Immerhin, es wird gesehen.

Der Gang durch B macht die Fragen von A möglich: Der ein wenig rhetorische Rat hat Bauernschläue. Liefere dem Dienstherrn seinen Teil ab, aber behalt deinen Teil ein. Folgerichtig wäre die Indienstnahme damit ja nicht beendet. Aber „willkürlich“, wie Elke schreibt, eben vielleicht doch. Weil das Gefühl, im Dienst zu stehen, dann aufhören könnte. 

Unten gibt Elke die Rezeptur für die oben vorgeführten Perspektivwechsel. Dabei führt sie vor, wie sie sich das eigene Ich transitiv gegenüberstellt. (Ich erst im Nachhinein sich mir). Und der Rat tritt an die Stelle, wo das Problem war. Und das Problem bleibt bestehen, aber so, als müsse man von der Sache, die zu tun ist, ganz absehen und nur auf die Hinwendung zu ihr selbst achten. Wozu das führt, scheint mir jetzt deutlich: Weg von der Erledigung dienender Aufgaben eines Subjekts A an ein Objekt B. Das Dienen wird zum Risiko. Es könnte nämlich sein, dass man bei der Hinwendung zur Frage, wie etwas zu tun sei, das eigentlich zu Erledigende ganz vergisst. Und folglich kann es dich auch nicht erledigen. So entkommst du je und je der Auftragslage als der andere Text, der das, was gar nicht zu tun war, nebenher auch mal tut. Und wieder überlebt. Und um einen Dreh, engelsgleich, aber konkret mit Elke weitergeschwebt. 

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